In der Parfümwelt kommt es immer häufiger vor, dass Unternehmen wieder zum Leben erweckt werden, die vor langer Zeit einmal von Glanz und Gloria gekrönt waren, jedoch durch widrige Umstände zu einem Ende fanden. Man denke an die Londoner Parfümhäuser Grossmith und Atkinsons. Doch auch in Deutschland ruhen Duftschätze vergangener Tage im Dornröschenschlaf. Verpackungsdesigner Lutz Herrmann machte sich vor einigen Jahren ganz bewusst auf die Suche nach geschichtsträchtigen Berliner Parfümmanufakturen und stieß auf eine Vielzahl traditionsreicher Namen: Lohse, Leichner, Jünger & Gebhardt, Treu & Nuglisch und immer wieder Schwarzlose – Franz Schwarzlose, Max Schwarzlose, J. F. Schwarzlose Söhne.
Besagter Joachim Friedrich Schwarzlose, ein Klavierbauer, gründete im Jahre 1856 am Berliner Gendarmenmarkt eine Drogerie für seine Kinder. Diese machten sich mit ihren Duft-Kreationen einen Namen und wurden so erfolgreich, dass sie im Jahre 1870 zum Lieferanten des Kaiserhofes, explizit der Kaiserin Augusta, ernannt wurden. Solche Geschichten kennt man sonst nur aus Frankreich, Italien oder Großbritannien. Auch die rumänische Königin Elisabeth orderte bei den Gebrüdern Schwarzlose in Berlin. Ihr Künstlername Carmen Silva findet sich in einem der historischen Parfümnamen von J. F. Schwarzlose Söhne wieder, dem Bouquet Carmen Silva. Durch die gute Vernetzung der Hohenzollern kamen die Parfüms um die Welt. 1895 übernahmen die Brüder Schwarzlose die angesehene Parfümproduktion Treu & Nuglisch, die 1820 in Berlin gegründet worden war und sich ebenfalls als Lieferant des preussischen und K.u.K. Hofes etabliert hatte. Das Familienunternehmen firmierte nun mit dem Zusatz J. F. Schwarzlose – Treu & Nuglisch. Um 1900 begann der Export nach Asien. In Peking, in der Sammlung des Sommerpalastes und in der Verbotenen Stadt sind historische Flakons von Schwarzlose in den Privatutensilien von Kaiserin XiXi und ihrem Sohn, dem späteren Kaiser PuYi, ausgestellt. Doch die Familie Schwarzlose zählte nicht nur royale Größen zu ihren Kunden. So soll auch die legendäre Josephine Baker laut Erzählungen ein Parfüm bei J. F. Schwarzlose Söhne gekauft haben, als sie in den Goldenen Zwanzigern in Berlin war.
Die Inhaltsstoffe für seine Parfüms bezog das Unternehmen von der 1829 gegründeten deutschen Firma Spahn und Büttner. Dufttechnisch passte man sich dem Puls der Zeit an. Dominierten bis zum 20. Jahrhundert klassische monothematische Blumendüfte, wurde es gegen Ende des Jahrhunderts phantasievoller. Bekanntlich öffneten sich der Parfümwelt durch den Einsatz chemischer Duftstoffe, sogenannter Aldehyde, ungeahnte Möglichkeiten. 1A-33 ist solch ein Zeugnis der Moderne und ursprünglich ein Aldehyd-Duft. Mit Mandarine, Jasmin, Lindenblüte und aquatischen Noten ist der Duft eine Hommage an den Berliner Sommer mit einem Spaziergang über den Boulevard Unter den Linden und einem Ausflug ins Strandbad Wannsee. 1A-33 könnte aber auch auf Capri oder an der Côte d’Azur entstanden sein, so köstlich mediterran ist die Komposition. Berlin am Meer, auch eine schöne Vorstellung. Zur Erklärung: 1A war das ehemalige Autokennzeichen Berlins, 33 stand für den Bezirk Moabit, hier befand sich die von Treu & Nuglisch übernommene Parfümproduktion. „Wenn man die Ergebnisse der Recherche ernst nimmt, wäre 1A-33 vor No.5 von Chanel entstanden, also mit den Konzept einer Nummerierung und dem Aldehydhanteil ziemlich cool“, erklärt Herrmann.
Nach über hundert Jahren wurde die Firma J. F. Schwarzlose im Jahre 1976 eingestellt. Die letzte aktive Inhaberin, Annemarie Köthner, hatte nach dem Zweiten Weltkrieg im Rahmen des Marshallplans die Fabrik in Moabit im alten Stil wieder aufbauen können. Als der Berliner Senat jedoch in den 1970er Jahren plante, aus dem Stadtteil ein reines Wohngebiet zu machen und Frau Köthner ihre Fabrik an anderer Stelle neu hätte aufbauen müssen, entschied sie sich dagegen. Ein typischer historischer Berliner Industriebau musste langweiligen Hochhäusern weichen, J. F. Schwarzlose Söhne verschwand von der Bildfläche.
Eine faszinierende Geschichte, die Lutz Herrmann so begeisterte, dass er alle Hebel in Bewegung setzte, diese fortzuführen. Die Marke J. F. Schwarzlose Berlin umfasst aktuell eine Kollektion von fünf Eau de Parfums. Gemeinsam mit der Parfümeurin Véronique Nyberg wurden drei der historischen Düfte anhand der originalen Rezepturen reanimiert und modernisiert: 1A-33, Treffpunkt 8 Uhr und Trance. Neu hinzu kamen die Eau de Parfums Rausch und Zeitgeist. Jeder Duft reflektiert einen Teil Berliner Geschichte zeitgemäß interpretiert ohne dem Mainstream zu folgen. Aber auch nicht zu abgedreht. „Wir wollen bei allem, was wir machen, ästhetisch bleiben, denn am Ende des Tages will man nicht nach verbranntem Gummi oder Waschpulver riechen“, so Herrmann.
Das Design der Flakons wurde bewusst minimalistisch entworfen. Die hohe Qualität erkennt man an den schweren Glasböden sowie den in aufwändiger Handarbeit gedrehten Messingdeckeln. „Ich wollte es schlicht halten, aber unserer Zeit entsprechend. Wertig in der Einfachheit und mit Hinblick auf die Flakons der 1920er Jahre. Die Kappen greifen alte Formen auf, ebenso die Flaschen, aber reduzierter als damals,“ erklärt der Designer.
Die eleganten Eau de Parfums findet man mittlerweile wieder weltweit, unter anderem im KaDeWe in Berlin, bei Aedes de Venustas in New York oder bei 10 Corso Como in Mailand.
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Diesen Artikel habe ich für die Erstausgabe der The Heritage Post für Frauen geschrieben, die im März 2014 erschienen ist, und deren Chefredaktion ich seit Anfang des Jahres übernommen habe.