Der Geruch von Leder. Jean-Claude Ellena verbindet ihn in erster Linie mit seiner Arbeit für das Luxushaus Hermès, welches für seine Lederwaren berühmt ist und dessen Lederlager Jean-Claude Ellena liebevoll ‚Ali Babas Höhle‘ nennt. Doch auch literarisch gibt es eine Inspiration für den neuesten und damit zwölften Duft aus der Collection Hermessence. Es handelt sich um den autobiographischen Roman Jean le Bleu, indem der französische Autor Jean Giono die Schusterwerkstatt seines Vaters beschreibt. Jean-Claude Ellena teilt mit Giono eine enge Verbundenheit mit der gemeinsamen Heimat, der Provence, mit ihrer Landschaft und ihren Düften.
Es ist eine Freude, wenn Düfte mit Zeit entwickelt werden, eine Idee reifen kann, wenn Tradition gelebt und erfahren werden kann. Zehn Jahre hat Jean-Claude Ellena sich für Cuir d’Ange Zeit genommen. Und das spürt man. Cuir d’Ange ist ein sehr persönlicher Duft, er hat keine laute Aura, bleibt ganz nah bei einem. Immer wieder nimmt man ihn im Zuge einer Bewegung wahr. Und wenn man denkt, er wäre verflogen, dann kommt er einem im nächsten Moment mit offenen Armen wieder entgegen. So wie Jean Giono die Präsenz seines Vaters immer wieder spürt: „Ich erinnere mich an die Werkstatt meines Vaters. Jedes Mal, wenn ich an einer Schuhmacherei vorbeigehe, glaube ich, dass mein Vater noch am Leben ist und irgendwo im Jenseits, an einem Tisch aus Rauch, in seiner blauen Schürze, mit Kneif, Faden und Ahle gerade Schuhe aus Engelsleder für einen tausendfüßigen Gott fertigt.“
Cuir d’Ange ist der feinste Lederduft, den ich je gerochen habe. Er erinnert mich an das zarte rosa Leder nagelneuer Ballettschläppchen mit ihrer schönen glatten Sohle, viel zu glatt für den Parkettboden des Ballettsaals. Dieser Geruch ist mit meiner Kindheit verwoben. Hinzu kommt eine sanfte, pudrige Note wie von Iris und eine Idee Zitrus. Dieses Eau de Toilette ist so leicht und dabei so schwer in Worte zu fassen. Es wirkt auf mich, als hätte es Amber in der Basis, aber das ist meine Interpretation: Feinstes Leder, zarte Pudrigkeit, Zitrusnoten, Moschus und Amber, insgesamt keine Süße, nur Weichheit, extrem elegant. Alles ganz dezent und köstlich. Man möchte sich den ganzen Tag immer wieder damit einsprühen. Jean-Claude Ellena verrät folgende Ideen zum Duft: Sonnenwende und Weißdorn, Leder und Moschus. Weißdorn enthält auch einer meiner Lieblingsdüfte: Blanc von Paul & Joe, der auch von Jean-Claude Ellena kreiert wurde. Doch der ist wirklich floral, Cuir d’Ange hingegen überhaupt nicht, was ich gut finde, denn ich tendiere momentan nicht zu floralen Düften.
Ich habe schon viele Lederdüfte gerochen, doch die meisten sind mir zu dominant, zu animalisch, schlicht zu intensiv, herrisch – meine liebste Ausnahme ist ja bekanntlich Cuir Beluga aus der L’Art et la Matière Linie von Guerlain. Jean-Claude Ellena wollte auch genau das, einen Lederduft kreieren, der eben nichts gemein hat mit jenem beliebten Russisch Leder aus den Zwanziger Jahren. Cuir d’Ange würde ich mir fast intensiver wünschen, denn er ist sanft wie ein Flügelschlag und eigentlich ein Hautduft. Leder ist schließlich auch eine Haut, so erklärt Jean-Claude Ellena in einem Brief zum Duft: „Ich habe die schönsten Häute gesehen, befühlt und gerochen, sogar Engelsleder, das nur einige Gramm in der Hand wog und so weich und fein war, dass ich es nicht zu berühren wagte. Es passte nur zu zarten, weißen Händen, Engelshänden. Die Häute waren mit natürlichen Stoffen gegerbt und dufteten nach Veilchen, Narzisse und Iris, dem Geruch der Heiligkeit. Ich notierte mir die Düfte.“